Coyhaique nach Villa O’Higgins (24.01.-02.02.)
Es hat merklich abgekühlt als wir Coyhaique verlassen, aber wir haben Rückenwind. Außerdem entdecken wir an einer Tankstelle eine Fahrradservice Station. Easy Aufpumpen möglich und es gibt sogar Werkzeug. Mega, das würden wir uns auch für Zuhause wünschen. Wir freuen uns über den schönen Asphalt, aber leider verliert unser Reifen schnell wieder Luft, weswegen wir nochmal selbst Pumpen müssen. Währenddessen werden wir von vier anderen Radreisenden überholt. Aber wir sind schnell und haben bis zur Mittagspause alle wieder eingeholt und auch Jed stößt mit dazu. Er ist vormittags falsch abgebogen und 12 km in die verkehrte Richtung gefahren, sonst hätten wir ihn wahrscheinlich garnicht getroffen. Die Wiedersehensfreude hält aber nur kurz an. Beim Brotzeit Picknick merkt er, dass sein Hinterrad ziemlich hinüber ist. Eine Speiche ist gerissen und die Felge ist übersät von weiteren Rissen. Die schlechten Schotterwege und das Waschbrett gehen aufs Material. Er beschließt nach Coyhaique zurück zu trampen um dort ein neues Hinterrad zu organisieren. Paul bastelt noch etwas an unserem undichten Vorderrad (Der Mantel wurde bei der Schweißaktion am Gepäckträger in Mitleidenschaft gezogen) und dann radeln wir weiter Richtung Süden, den vier anderen hinterher in den Nationalpark Cerro Castillo. Dort bekommen wir sogar einen Südandenhirsch zu Gesicht, das typische Tier des Parks und vom Aussterben bedroht. Für uns sieht es aus wie ein normaler Hirsch, aber ist auch nicht unser Fachgebiet.
Am Nachmittag erreichen wir dann die Passhöhe des höchsten Passes der Carretera Austral (1200 m ü. NN klingt nicht sehr hoch, war auch nicht besonders anspruchsvoll, aber bei den schneebedeckten Bergen außenrum sieht es zumindest hoch aus) und müssen nurnoch bergab bis zum Campingplatz rollen. Vorm Abendessen bleibt noch Zeit für einen kleinen Ortsrundgang und im lokalen Supermarkt werfen wir unser geplantes Abendessen nochmal über den Haufen und kaufen TK Thai Gemüse um das mit Currypaste und Reis zuzubereiten. Wir sind dankbar für das große Zelt mit Küche, das man zum Kochen und essen nutzen kann, denn es ist echt windig und nicht mehr so warm. Wir tauschen uns noch ein bisschen mit anderen Reisenden aus und schließen den Tag ab.
Unsere Route am nächsten Tag verläuft erst weiterhin auf schönem Asphalt, aber recht bald erscheint das Schild „fin pavimento“. An sich finden wir nicht asphaltierte Straßen auch ganz schön, aber sie unterscheiden sich teilweise enorm in ihrem Zustand. Waschbrett und viele Schlaglöcher können das vorankommen sehr erschweren und sind auf Dauer auch eine fiese Belastung für Hintern und Handgelenke. Und davon gibt es hier viel. Wenn dann zeitweise, wie an diesem Tag, noch Gegenwind hinzu kommt, dann kann es schonmal richtig hart sein. Aber Müsliriegel und gesüßte Getränke (es gibt hier so Pulver, überwiegend Zucker und Farbstoff, das man mit Wasser vermischt und dann eine Art Limo erhält, unteranderem in den Geschmacksrichtungen Wassermelone und Dörrpfirsisch, wir sind eher Fans von Orange, Mango und Himbeere, letzteres schmeckt wie Skiwasser) halten die Stimmung hoch. Außerdem ist die Mittagspause mit Brotzeit ein Lichtblick. Diese verbringen wir an diesem Tag in einer windgeschützen Bushaltestelle. Danach haben wir zum Glück etwas weniger Gegenwind und überholen ein deutsches Pärchen auf Rädern um danach Pablo, einen Chilenen mit seinem Rad zu treffen. Wir unterhalten uns kurz mit ihm und dann kommt noch ein Kanadier hinzu, den wir schonmal mit Heiko getroffen haben. Gemeinsam fahren wir weiter und der Kanadier motiviert uns richtig Gas zu geben (er ist quasi Profi Radfahrer, hat schon an vielen Radrennen teilgenommen). Da macht uns sogar der Regen nicht so viel aus, der irgendwann einsetzt. Bergab müssen wir ihn aber ziehen lassen, wir wollen ja nichts riskieren und uns die nächsten fünf Monate verbauen. Daher nur der Silberrang für uns als wir am Campingplatz ankommen. Nach uns kommt Pablo und dann auch irgendwann das deutsche Pärchen an. So ergeben sich am Abend wieder nette Gespräche unter Radreisenden in der Hütte mit Holzofen auf dem Campingplatz.
Leider bleibt das Wetter recht unbeständig, weswegen wir unser Zelt am nächsten Morgen nass einpacken müssen. Es lichtet sich aber auch so garnicht, wir sehen nur immer dunklere Wolken, vor denen wir davon fahren. Zum Mittagessen erreichen wir den Ort Rio Tranquilo, der ist sehr bekannt für seine schönen Marmorhöhlen, die nur vom Wasser aus erreichbar sind. Allerdings stellen wir uns den Ausflug bei Regen und Wind weniger schön vor und gönnen uns lieber ein warmes Mittagessen in einem zum kleinen Restaurant umgebauten Reisebus. Als wir da so sitzen kommt eine Frau rein und fragt: „Are you Johanna?“ Ich bin mega verwirrt, aber dann stellt sich heraus, es ist unsere Couchsurfing Gastgeberin für die kommende Kleinstadt. Wir machen mit ihr aus, dass wir am nächsten Tag dort ankommen werden und dann nimmt sie den dreistündigen Bus nach Hause. Da jetzt klar ist, dass wir Cochrane am nächsten Tag erreichen wollen heißt es nach dem Mittagessen weiterfahren. Leider entwickelt sich ein richtiger Dauerregen, der uns auf der Schotterpiste das Leben schwer macht. Er läuft uns in die Schuhe und durchdringt unsere Regenjacken. Das macht wirklich keinen Spaß und kalt wird einem auch. Und weil Südamerika so dünn besiedelt ist, ist auch erstmal nichts zum unterstellen in Sicht. Wir checken iOverlander während der Regen auf den Touch Displays unserer Handys ständig gegen uns arbeitet und finden einen Campingplatz in 8 km Entfernung. Das ist näher, als wir vermutet hätten und gibt uns wieder etwas Motivation zurück. Wir geben Gas und als wir den Platz erreichen sind wir froh, dass wir dort jemanden antreffen. Zelte oder Fahrzeuge sehen wir dort nämlich garkeine. Letztendlich umso besser für uns, dass wir die einzigen Gäste sind. Wir können den Aufenthaltsraum mit Holzofen komplett einnehmen und all unsere nassen Sachen zum trocknen aufhängen, uns heiße Schokolade kochen und Risotto und Tee. Es gibt Schaffelle zum drauf sitzen und so machen wir es uns vorm Ofen richtig gemütlich während es draußen immer weiter wie aus Kübeln schüttet und stürmt. So finden wir einen sehr versöhnlichen Abschluss mit diesem kalten und nassen Tag.
Zum Glück hört es am nächsten Morgen auf zu Regnen, als wir uns aufs Tandem setzen. Es sind noch fast 90 km bis nach Cochrane und die „Straße“ ist wirklich teilweise herausfordernd. Aber die Landschaft und das trockene Wetter machen das wieder wett. Die Flüsse sind fast unrealistisch türkisblau, die Berge reihen sich aneinander, wir sehen Vecunias und staunen über immer neue, tolle Ausblicke. Beflügelt von den tollen Eindrücken erreichen wir am späten Nachmittag Cochrane und gehen noch schnell einkaufen, bevor wir zu unserer Couchsurferin radeln. Sie muss Abends im Restaurant arbeiten, daher haben wir für uns Tiefkühlpizza besorgt, zum Kochen ist keine Energie mehr übrig. Ihr Haus liegt direkt an einem Fluss und man hat eine sehr schöne Aussicht von der Terrasse. Wir dürfen bei ihr für zwei Nächte im Garten zelten und ihr Kajak benutzen, was Paul auch gerne in Anspruch nimmt, weil wir für einen Ruhetag verweilen. Leider fühle ich mich nicht so gut, weshalb wir sonst nicht viel unternehmen und wir eine dritte Nacht im Ort in einer Hospedaje verbringen. Das Bett tut wirklich gut und ich schlafe richtig viel während Paul ganz viel Routenplanung und weitere Recherchen durchführt. Nach einem Tag und einer Nacht im Bett geht es mir wieder besser und wir setzen unsere Reise fort.
Wir sehen Berge, Gletscher und Seen, allerdings sind viele Wolken am Himmel und irgendwann sieht man die Berge nicht mehr, dafür setzt Regen ein. Zum Glück nicht ganz so stark wie ein paar Tage zuvor, sodass wir nicht ganz durchnässt einen Campingplatz mit Schutzraum erreichen. Die Betreiberin erlaubt uns die Isomatten im Aufenthaltsraum auf dem Boden auszulegen, da wir erneut die einzigen Gäste sind. Das finden wir super nett, denn der Regen wird am Abend immer stärker.
Der nächste Morgen begrüßt uns zu unserer Freude wieder mit Sonnenschein, wir sind wohl einfach Schönwetterradler, stellen wir fest. Bei Sonnenschein und Wasserfallgeplätscher fahren wir bergauf vorbei an wildem Rhabarber der unterhalb steiler Felswände wächst. Die Natur gibt wieder ihr bestes um es uns schön zu machen. Es ist recht kühl, weswegen das Erklimmen des Passes sich angenehm aufwärmend auswirkt. Am frühen Nachmittag erreichen wir einen Fjord über welchen uns eine Fähre bringen soll. Auf der haben wir Gesellschaft von Beth und John aus den USA. Die beiden sind unserer Schätzung nach Ende 60 und lieben das Radreisen und Wildcampen. Wieder einmal sind wir sehr beeindruckt. Die Fähre lädt uns da ab wo sie uns auch aufgenommen hat – mitten im Niergendwo. Es gibt einen Schotterweg, Bäume, Berge und Wasser. Bei so viel Wildnis sollte sich doch ein schöner Wildcampingspot ergeben. Aber erstmal lassen wir uns vom Rückenwind antreiben. Aber auch guter Rückenwind hat seine schlechten Seiten, denn wenn er zu stark ist möchte man dem nicht sein Zelt aussetzen. Daher fahren wir deutlich weiter als geplant bis zu einem gemauerten und überdachten Picknickplatz. Als wir dort ankommen sind fast alle Körner aufgebraucht. Bevor wir müde ins windgeschütze Zelt kriechen, waschen wir uns noch am nahegelegenen Wasserfall mit eiskaltem Wasser und essen fast 600g Nudeln mit Käsesauce.
Der nächste Tag ist wieder etwas durchwachsen, aber wir machen genau während dem stärksten Regenschauer eine Instantnudel Mittagspause an einem weiteren überdachten Picknickplatz. Daher bleiben wir auf den restlichen 68 km nach Villa O’Higgins weitgehend trocken und freuen uns vor Ort das Ende der Carretera Austral erreicht zu haben. Ein bisschen fühlt es sich auch an wie das Ende der Welt. Wir haben von Cochrane mit dem Rad 2,5 Tage gebraucht, mit dem Auto muss man wohl mit 6-7 Stunden rechnen. Zwischendrin ist quasi nichts und Villa O’Higgins ist eine Sackgasse. Die einzige Möglichkeit von dort weiter zu kommen ist mit einem Boot Richtung Argentinien, welches aber nur Fußgänger und Radfahrer mitnimmt und nur bei gutem Wetter fährt. Genau das wollen wir nehmen und verbringen dafür zwei Nächte im Ort in einer Unterkunft. Wir kochen wieder fleißig und viel, Waschen Klamotten und entspannen im warmen Haus während es draußen regnet. Ein klassischer Ruhetag also, der uns Kräfte sammeln lässt für den außergewöhnlichsten Grenzübertritt, den wir bisher erlebt haben.