Villa O’Higgins – Punta Arenas  03.02.- 12.02.


Um 4.30 Uhr klingelt der Wecker. Wir haben schon alles am Abend zuvor gepackt, müssen uns nurnoch anziehen und Zähne putzen, dann radeln wir los. Acht Kilometer durch die Dunkelheit Richtung Bootsanleger. Hier ist für Autos wirklich Sackgasse. Dafür stehen hier umso mehr Radfahrer (ca. 40). Wir treffen auf ein paar bekannte Gesichter, unteranderem auch das belgische Pärchen, mit welchem wir circa einen Monat zuvor auf einem Campingplatz waren. Allerdings sind weder wir noch die anderen sehr gesprächig. 5.30 Uhr ist auch einfach viel zu früh und alle sind darauf fokussiert, dass Räder und Gepäck vernünftig verladen werden und dabei nichts ins Wasser fällt, denn die zwei Boote sind nicht besonders groß. Zum Sonnenaufgang fahren wir über den Lago O’Higgins und werden ganz schön durchgeschaukelt. Zum Glück sitzen wir trocken und windgeschützt. Circa zwei Stunden später haben wir wieder festen Boden unter den Füßen und fahren auf steilen Wegen und durch tiefen Schotter Richtung Grenze.  Den Ausreisestempel für Chile haben wir als erstes im Pass und können vorausfahren.

Wir befinden uns wirklich im absoluten Niemandsland. Um uns herum nur Natur, auf den umliegenden Gipfeln ist in der Nacht Neuschnee gefallen, wir kommen durch Wäldern mit alten, knorrigen Bäumen und zwischendrin können wir immer wieder den See erblicken. Manchmal wird es so steil, dass wir absteigen und schieben müssen, aber die Passagen sind meist recht kurz. Und dann kommt der spannende Teil, nämlich ab dort, wo nichtmehr die Chilenen, sondern die Argentinier für den Weg verantwortlich sind.   Ab da wird aus dem Forstweg ein Trampelpfad, der an vielen Stellen so schmal ist, dass unser Fahrrad mit Gepäck garnicht durch passt. Wir haben zwei Taschen, die wir auch als Rucksäcke tragen können, zeitweise nehme ich noch eine in die Hand, während Paul das Tandem schiebt. Es gilt Bachläufe mal mit mal ohne improvisierte „Brücken“ zu queren. Das Tandem müssen wir immer wieder anheben, über Wurzeln und umgefallene Bäume, matschige Passagen, bergauf und bergab. Nur mit einem Rucksack wäre es eine abwechlungsreiche und schöne Wanderung, mit einem voll bepackten Tandem ist es eine Herausforderung. Zwischendrin stärken wir uns mit guter Brotzeit und erreichen schließlich den Lago del Desierto mit argentienischer Grenzstation. Mein einer Schuh ist komplett mit Schlamm überzogen, bei einer Radtasche ist das Netz der Außentasche gerissen und an unserem Hinterrad ist eine Speiche gebrochen. Abenteuer hinterlassen eben Spuren… Es bleiben noch ein paar Stunden, bis die Fähre kommt, die uns zurück in die Zivilisation bringen soll, daher nutzen wir die Zeit direkt für Reparaturarbeiten. Während Paul mit Unterstützung und Werkzeug anderer Radfahrer und Grenzbeamten die Speiche austauscht, nähe ich das Netz unserer Tasche. Bis das Boot kommt haben alle Radfahrer den See erreicht und wir unsere Reparaturarbeiten abgeschlossen.

Wir beschließen am Abend noch die letzten 37 km nach El Chalten zu fahren um am nächsten Tag direkt wandern gehen zu können. Die tief stehende Sonne wirft ein unglaublich schönes Licht auf die beeindruckenden Felsmassive und wir genießen die Eindrücke, während wir entlang eines Flussbetts radeln und die 2000 km voll machen. Als wir den Ort erreichen ist dann aber auch schon nach 20.00 Uhr, weswegen wir auch den ersten Campingplatz nehmen, den wir angesteuert haben, obwohl uns die Preis-Leistung garnicht zusagt. 25,50 Euro zu zweit für ziemlich schäbige und ungepflegte Sanitäranlagen. Einzig die Dusche hat ordentlich Wasser und ist schön warm.

Zumindest beschließen wir am nächsten Tag den Platz zu wechseln, da wir noch zwei weitere Nächte bleiben wollen. Nachdem wir einen ähnlich teuren, aber sehr modernen Campingplatz bezogen haben, brechen wir zu einer Wanderung auf. Wir wandern bis zum Gletschersee unterhalb des Cerro Torre. Die steil in den Himmel aufregenden Felsen und der Gletscher mit dem See, in dem kleine Eisberge treiben, bietet einen sehr beeindruckenden Anblick. Auf dem Weg begegnen uns wieder die beiden Belgier, sie haben die zwei Wanderungen, welche wir geplant haben an einem Tag gemacht, um am nächsten Tag weiter radeln zu können. Auf unserem Campingplatz treffen wir Carsten und Aurelia wieder. Zwei deutsche Radfahrer von der Fähre. Sie haben ihre vier erwachsenen Kinder und ihr Haus zurückgelassen und fahren ein Jahr lang durch Amerika. In der großen und geschäftigen Campingplatzküche koche ich am Abend was Paul eingekauft hat. Wir sind immer wieder geschockt von den immens hohen Preisen in Argentinien. Nur Fleisch ist recht günstig. Daher gibt es an diesem Abend Kartoffeln mit Hackfleisch und Gemüse. Auch Wandern macht schließlich hungrig.
Am nächsten Morgen brechen wir früh zum Fitz Roy auf oder besser gesagt zu einem Aussichtspunkt mit Blick auf den Berg. Morgens haben wir auch noch gute Sicht,  die sich leider über den Tag hin verschlechtert. Die Wanderung ist trotzdem sehr schön und abwechslungsreich, wir sehen einen Magelanspecht und am Aussichtspunkt sogar einen Fuchs. Nach 20 km sind wir wieder am Campingplatz und verbringen dort einen sehr verregneten Nachmittag, zum Glück waren wir so früh unterwegs und sind trocken geblieben.

Am nächsten Tag können wir ohne Regen weiter fahren, nur das Zelt müssen wir nass einpacken. Endlich fahren wir mal wieder auf richtig schönem Asphalt. Leider verliert unser Vorderrad wieder Luft, weswegen wir hin und wieder pumpen müssen, dafür haben wir aber Rückenwind deluxe. Der ist so extrem, dass anhalten unangenehm ist, weil es einen fast wegbläst. Das führt aber dazu, dass wir ohne großen Kraftaufwand in unter drei Stunden 90 km zurücklegen. Die letzten paar Kilometer davon sind allerdings nochmal schwierig, weil der Wind nicht mehr direkt von hinten,  sondern auch von der Seite kommt. Wir müssen uns sehr dagegen lehnen und aufpassen, dass wir nicht auf die Gegenfahrbahn geweht werden. Und dann kommen wir an eine Kreuzung. Dort müssen wir rechts abbiegen. Zum Glück steht dort aber auch eine Hütte, die perfekten Windschutz bietet. Ideal für unsere Mittagspause. Wir sind nicht die Ersten. Es sind bereits sechs andere Radfahrer da. Auch Dries und Jana aus Belgien. Die Beiden sind ja schon einen Tag früher aus El Chalten losgefahren als wir, haben im Shelter übernachtet und am nächsten Tag versucht weiter zu fahren, hatten aber keine Chance und verbringen daher wie noch zwei andere bereits eine zweite Nacht im Windshelter (das außergewöhnlich schön ist und verrückterweise gibt es sogar WLAN). Den Nachmittag über tauscht Paul den Mantel unseres Vorderrads (zum Glück haben wir Ersatz dabei) und es kommen immer mal wieder andere Reisende vorbei (Tramper mit guten Empfehlungen für die Weiterreise und Camper, die uns Wasser dalassen), aber nur wir Radfahrer bleiben bis zum Abend und bekommen noch Zuwachs. Letztendlich schlafen wir zu 10. in dem Shelter, viel mehr wäre auch kaum möglich gewesen. Abends kommen noch zwei kleine Füchse vorbei und dann gehen alle früh schlafen, denn am nächsten Morgen soll die Windsituation am besten sein.

Laut Paul sollten wir am besten gegen 12.00 Uhr am nächsten Tag im 130 km enfernten El Calafate sein. Wir sind zwar mittlerweile echt fit, aber das ist doch etwas zu ambitioniert. Am nächsten Morgen starten wir gegen 6.30 Uhr mit dem Sonnenaufgang. Die Stimmung gigantisch. Rechts in der Ferne werden der Fitz Roy und der Cerro Torre in oranges Licht getaucht, während sich links die Sonne aufgeht und sich die weite Pampa erstreckt. Nach einigen Kilometern frühstücken wir am Vormittag auf einem Parkplatz unsere gewohnten Haferflocken um gestärkt weiter zu fahren und wir kommen gut voran, denn es ist tatsächlich windstill. Ab Kilometer 100 tut der Hintern weh, aber die Aussicht auf eine schöne Unterkunft treibt uns voran und wir verweilen immer nur kurz um ein paar Kekse oder Müsliriegel zu essen.

Es ist 14.00 Uhr als wir in El Calafate einrollen. Der Gastgeber unserer Unterkunft ist nicht Zuhause, aber wir können schon rein und er hat für uns Empanadas im Ofen. Wir sind begeistert, die Unterkunft ist super schön und man wird direkt mit Essen empfangen. Da schlägt das Radreisenden Herz höher. Etwas später trifft auch der Gastgeber Pol ein. Er ist super herzlich und fährt uns mit seinem Auto in die Innenstadt, damit wir unsere Besorgungen machen können. Der Plan ist Geld zu wechseln und einzukaufen.  Allerdings geht es Paul auf einmal gar nicht gut, er ist richtig blass und ohne Energie. Ich gehe alleine in den Supermarkt während Paul draußen wartet und alle Empanadas wieder von sich gibt. Zum Glück sammelt Pol uns wieder ein und zurück in der Unterkunft darf Paul sich in sein Bett legen und nicht wie ursprünglich geplant in den Wohnwagen im Garten, der für diese Nacht vorgesehen war. Während Paul also total fertig mit Schüttelfrost im Bett liegt werde ich von unserem Gastgeber und einer Freundin von ihm zu leckerer frischer Pasta und einem Glas Rotwein eingeladen. Danach lege ich mich zu Paul, dankbar, dass Pol uns sein Schlafzimmer überlässt und selbst im Wohnzimmer auf der Couch schläft.
Unseren Plan für den nächsten Tag verwerfen wir. Paul geht es zwar besser, aber noch nicht wirklich gut. So vergeht ein recht ruhiger Tag mit viel Ausruhen und Tütensuppe. Pol ist sehr besorgt um Paul und stellt Brot und Tee bereit und bietet an ihn ins Krankenhaus zu fahren. Vermutlich hat er ein schlechtes Gewissen, da die Vergiftung wahrscheinlich von den Empanadas mit Fleisch kommt, von welchen ich keine gegessen habe. Wir machen aus, dass wir einen Tag länger bleiben als geplant. Um sich zu erholen gab es bisher noch keinen besseren Ort auf unserer Reise. Trotzdem sind wir am nächsten Tag etwas aktiver und fahren per Anhalter zum Nationalpark Perrito Moreno. Für circa 40 Euro pro Person kann man dort einen riesen Gletscher bestaunen,  welcher in einem See endet. Es ist ein faszinierendes Naturschauspiel. Der Gletscher sieht stellenweise aus wie Mamor und immer wieder bricht Eis ab und fällt mit großem Getöse ins Wasser. Wir verweilen ein paar Stunden und laufen zu verschiedenen Aussichtspunkten, dann trampen wir zurück in die Stadt.


Da Paul immer noch nicht ganz fit ist und viele Kilometer Niemandsland vor uns liegen beschließen wir unseren Weg trampend anzugehen. Pols Unterkunft zu verlassen fällt nicht leicht, aber irgendwann muss man jeden schönen Ort wieder verlassen. Per Anhalter mit einem Tandem ist immer so eine Sache und wir fangen schon an zu zweifeln, aber glücklicherweise finden wir nach einiger Zeit einen Pickup, der uns mitnimmt. Zwar nicht ganz bis dahin, wo wir am Ende des Tages sein wollen, aber immerhin bis zur nächsten Kreuzung in 178 km Entfernung, an der es eine Tankstelle, eine Unterkunft und ein Restaurant gibt. Es stürmt und regnet vor Ort und wir sind froh nicht auf dem Rad zu sitzen. Nach einiger Wartezeit beschließen wir mit einem Bus mitzufahren. Der soll uns nach Rio Turbio bringen, circa 30 km entfernt von Puerto Natales. Das klingt nach einer machbaren Distanz für den Nachmittag, trotz erneutem Grenzübertritt. Allerdings denkt sich das Wetter mit uns noch alles nachholen zu müssen was wir den Tag über im Bus verpasst haben. Erst hagelt es, dann scheint die Sonne, dann haben wir richtig starken Gegenwind und Regen und am Ende wieder Sonne. Verrücktes Patagonien!
Wir finden eine Unterkunft, kochen, duschen, essen und treffen Abends ein paar Entscheidungen über den weiteren Verlauf unserer Reise, unteranderem buchen wir einen Flug in den Norden von Chile und beschließen eine weitere Etappe mit dem Bus zu fahren. Den bekannten Torres de Paine wollen wir aufgrund von Wetter und hoher Frequentierung auslassen.
Den nächsten Tag gehen wir daher entspannt an und besorgen uns Facturas (süße Teilchen) aus der Bäckerei und frühstücken im Bett. Am Mittag nehmen wir den Bus und erreichen Punta Arenas am Nachmittag. Mit dem Rad wären das zwei sportliche Tagesetappen durchs Nirgendwo gewesen. Unser Hostel ist einfach, aber in der Küche führen wir viele schöne Gespräche mit anderen (Rad)Reisenden. Viele campen im Garten und wir haben langsam das Gefühl,  dass wir anfangen bequem zu werden, denn wir haben für zwei Nächte ein Zimmer genommen. Wir erkunden die Stadt, finden einen hippen unverpackt Laden (perfekt für Radreisende, da wir viel immer nur in kleinen Mengen mit uns durch die Gegend fahren), essen Completos und Cheesecake und kochen vegetarische Bolognese mit Sojahack aus dem unverpackt Laden und buchen ein Ticket für die Fähre am nächsten Morgen nach Feuerland.