Arica nach Sajama (27.02. bis 09.03.)

Unser Flug nach Arica geht über Nacht und beinhaltet einen kurzen Zwischenstopp in der Hauptstadt Chiles. Wir versuchen so gut es geht zu Schlafen. Leider hat es mich noch erwischt und ich nehme als Andenken aus Patagonien Halsschmerzen mit.
Trotzdem bauen wir am Morgen am Flughafen erstmal unser Fahrrad zusammen und radeln die knapp 20 km zu unserer Unterkunft am Meer entlang. Dabei passieren wir einen riesigen Haustierfriedhof und fragen uns – gibt es so etwas bei uns auch?
Am liebsten würde Paul in einem Cafe am Strand frühstücken, aber meine Erkältung und ich wollen einfach nur eine Dusche und ein Bett. Und genau das bekomme ich auch, während Paul einen ersten Streifzug durch die Innenstadt unternimmt.
Tags drauf hab ich zwar Schnupfen, aber ich möchte nicht wieder den ganzen Tag im Bett liegen, sondern was von der Stadt sehen und die Wärme genießen. Wir gehen ans Meer, unternehmen eine kleine Bootstour, essen Ceviche und bestaunen Seelöwen und Pelikane am Fischmarkt. Aufgrund meiner Erkältung bleiben wir noch einen Tag länger als geplant in der Stadt und genießen Sonne und Strand. 


Und dann geht es endlich wieder weiter. Wir haben richtig Lust wieder als Radnomaden unterwegs zu sein und starten vollgepackt aus der Stadt am Meer Richtung Berge. Zuerst fahren wir durch ein Tal in dem Oliven angebaut werden, nur, dass man davon nicht so viel sieht, weil alle Bäume unter mit Planen bespannten Gewächshäusern sind. Nach einem zweiten Frühstück mit Bananen, Nüssen und Cola wird es steil. Allerdings nur recht kurz, denn wir erreichen eine Straßensperre. Oft sind Baustellen mit einem Fahrrad ja kein Hindernis. In diesem Fall gibt es aber kein Durchkommen, da hilft alles diskutieren nichts. Wir haben demnach zwei Möglichkeiten. Umdrehen und ca. 50 km Umweg auf uns nehmen oder das Tandem den steilen Berg direkt im Sand hochschieben und so die Straße umgehen. Da wir einige Spuren von Pick-ups im Sand sehen und keine Lust haben wieder in die Stadt zu fahren, entscheiden wir uns für letzteres. Wir müssen verrückt sein.
Es geht gut 200 Höhenmetern schiebend bergauf, Paul am Lenker, ich am Gepäckträger. Immer wieder müssen wir anhalten und Luft holen. Wir versuchen uns zu motivieren, indem wir runter auf die Straße schauen und uns sagen wieviel wir schon geschafft haben. Es ist verdammt anstrengend. Aber wir schaffen es und erreichen die Straße mit der Baustelle im Rücken. 
Von dort an geht es kilometerweit stetig bergauf durch die Wüste. Wir sind komplett alleine, es begegnet uns den ganzen Tag kein Fahrzeug mehr, denn die Straße ist ja gesperrt. Somit ist klar, wir müssen bis zur nächsten Kreuzung, denn unser Wasservorrat reicht gerade so für den Tag auf dem Rad. Die Chilenen sind sehr präzise was die Markierung der Kilometer entlang der Straße angeht. Angezeigt wird immer die Distanz bis zur nächsten Kreuzung. Oft steht alle 20 m ein Schild und das grenzt schon fast an Psychoterror. Bergauf bei 30 Grad im absoluten Niemandsland. Um uns herum nur Sand und Müll. Und dann wird einem aufgezeigt wie langsam man eigentlich voran kommt: noch 19,38 km, dann noch 19,36; 19,34 usw… Zeitweise wünsche ich mir Scheuklappen um die kleinen Schilder nicht zu sehen. 
Zum Glück schaffen wir es aber bis zum Nachmittag zur Kreuzung. Mit eisernem Willen immer weiter in die Pedale treten bringt uns also wieder in die Zivilisation. Oder besser gesagt zu einer größeren Straße, an welcher ein einfaches Gebäude steht. Wir schauen ob jemand vor Ort ist, für ein kaltes Getränk würden wir jetzt viel geben. Bis auf einen zahme Schäferhündin ist das Gelände allerdings verlassen. Wir umrunden das Gebäude und entdecken Toiletten und eine Dusche, die von einem großen Tank auf dem Dach gespeist werden. Ansonsten macht es den Eindruck, dass hier Bauarbeiter untergebracht sind, nur ist offensichtlich gerade niemand da. Wir können unser Glück kaum fassen, mit einer Dusche hatten wir an diesem Tag nicht gerechnet – nötig haben wir sie aber wie selten. Schweiß, Sonnencreme und feinster Staub kleben an uns. Kein Zustand um in einen Schlafsack zu krabbeln. Daher waschen wir den ganzen Dreck von uns ab und filtern uns weiteres Wasser zum trinken. Wir bereiten unser Abendessen zu und als um 19.00 Uhr noch niemand aufgetaucht ist haben wir die Hoffnung die Nacht nur mit der Schäferhündin verbringen zu müssen, die immer wieder zu uns kommt und gekrault werden möchte (da sind wir aber beide eher zurückhaltend). Wir bauen unser Zelt auf und als es dunkel wird legen wir uns hin. Die 2000 Höhenmeter an diesem Tag haben uns einiges abverlangt. Leider schlafen wir nicht besonders gut, da wir keine Ohropax benutzen wollen und so recht viel vom Verkehr auf der Straße hören. 


Am nächsten Morgen frühstücken wir und brechen auf. Nur der Hund will uns nicht gehen lassen. Als wir uns aufs Tandem setzen legt er seine Vorderpfoten auf den Fahrradrahmen zwischen uns und auf Pauls Taille und als wir losradeln kommt er einfach mit. Mehrere Kilometer fahren wir in Begleitung, bis eine Betonmauer unseren Begleiter, der neben der Fahrbahn läuft, aufhält. Ein bisschen schade finden wir das schon, andererseits hoffen wir, dass er jetzt umdreht und zurückkehrt, denn um uns herum ist abgesehen von ein paar Kakteen weiterhin nur trockene Wüste.
Zur Mittagszeit erreichen wir eine Art Restaurant mit Campingplatz. Außer frisch gebackenem Brot kann der verrückte nette Herr nicht viel anbieten, aber das passt uns gerade ganz gut und wir genießen die Pause und die Beatles Songs, die im Hintergrund laufen. Der Ort ist sehr schön, aber wir wollen noch ein Stück weiter, denn es ist noch recht früh. So erreichen wir am Nachmittag einen kleinen Ort mit einigen Restaurants. Hier halten überwiegend LKWs um Pause zu machen und man ist mit unserer Anfrage ob wir irgendwo unser Zelt aufstellen dürfen zuerst etwas überfordert. Beim zweiten Restaurant erlaubt es uns die Dame aber zum Glück letztendlich. Im Gegenzug essen wir im Restaurant. Nach unserer Ankunft beginnt es tatsächlich zu regnen, die Landschaft ist auch schon deutlich grüner als noch vor ein paar Kilometern. Darum sind wir dankbar für die heiße Suppe am Abend, denn es ist nicht nur nass, da wir uns auf ca. 3200 m ü. NN befinden ist es auch deutlich kühler als am Abend zuvor. Beim Essen haben wir sogar Gesellschaft von einem deutschen Pärchen. Die beiden sind allerdings mit dem Auto unterwegs und fahren danach noch weiter, während wir neben einem Schafgehege bei strömenden Regen unser Zelt beziehen.


Am nächsten Tag frühstücken wir im Restaurant und fahren dann zum Glück im Trockenen los. Die Distanz zu unserem Tagesziel ist überschaubar. 26 km und ca. 600 Höhenmeter, aber die gesamte Strecke ist eine Baustelle. Mehrmals müssen wir anhalten und warten, bis die Straße wieder freigegeben wird. Wenn wir dann fahren dürfen ist die Straße oft nicht asphaltiert und richtig schlammig. Dementsprechend sehen wir nach einiger Zeit aus. Dafür wird die Landschaft immer schöner und es kommt sogar zeitweise die Sonne durch. Unser Tagesziel Putre liegt auf 3500 m. Hier haben wir ein schönes Zimmer und sind dankbar, dass wir als erstes unser Rad mit dem Wasserschlauch reinigen dürfen. Wir duschen warm und gehen Mittagessen und versuchen eine Postkarte loszuwerden. Obwohl schon eine Briefmarke drauf klebt scheint es aber fast ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Zeitweise versuchen vier Leute gleichzeitig zu verstehen was wir mit diesem Ding machen wollen. Aber im ganzen Dorf gibt es keine Post oder gar einen Briefkasten. Insgesamt scheint das Konzept Postkarte unbekannt. Letztendlich gibt Paul die Karte jemandem mit, der nach Arica fährt. Wir hoffen er hat verstanden was damit zu tun ist und die Karte findet ihren Weg.
Nachmittags legen wir uns ins schöne, große Bett und entspannen. Immer nur bergauf strampeln ist ganz schön anstrengend. Zum Abendessen wird selbst gekocht (Sojahack Bolognese) und dann gehen wir früh ins Bett.


Unser Start auf dem Rad am nächsten Tag wird von einer Herde Lamas begleitet und dann geht es erstmal ordentlich bergauf. Es fühlt sich sehr steil an, aber das liegt sicher auch an der Höhe, die wir mittlerweile erreicht haben. Wir stellen fest,  das wir am Tag zuvor verpasst haben,  dass wir 3000 km geradelt sind. Dafür freuen wir uns, als wir das erste Mal die 4000 m ü. NN Marke knacken. Dann sind wir auch bald zurück auf der normalen Straße, die wir uns mit vielen bolivianischen Lkws teilen.  Die größere Straße hat eine deutlich angenehmere Steigung. Die Landschaft wird grüner und grüner und wir sehen viele Vecunias. Mitttags halten wir bei einer Conaf Station. Hier sind Ranger des Nationalparks stationiert. In diesem Fall eine junge Frau und zwar die Tochter des Mannes bei dem wir zwei Tage vorher Mittagspause gemacht haben. Wir bekommen warmen Tee von ihr und sie zeigt uns Fotos von Landschaft und Tieren auf ihrer Spiegelreflexkamera. Dann machen wir uns auf die Weiterreise, da wir bedenken haben in den Regen zu kommen. Ein bisschen nieselt es dann auch, aber als wir das erste Mal Flamingos in der Ferne sehen, nehmen wir das garnicht mehr so wahr. Es geht immer weiter bergauf und um uns herum sind viele schneebedeckte Berge zu sehen, die aber in den Wolken hängen. Wir erreichen eine Höhe von 4600 m und einen Aussichtspunkt. Der gibt nicht nur einen Blick auf ein mit Seen bedecktes Tal und einen Vulkan frei, sondern auch auf ein Gewitter. Wir sehen drei gewaltige Blitze und rollen schnell etwas bergab zum Lago Chungara. Als wir dort bei einer weiteren Conaf Station ankommen fängt es gerade an zu regnen. Zum Glück wird uns Einlass gewährt. Der Ranger Gustavo bietet uns Kaffee und Kekse an und heizt den Holzofen ein. Wir verständigen uns mit den spanischen Worten die wir bereits können und Google Translate und weil wettertechnisch keine Besserung in Sicht ist bietet er uns an im Zimmer seines Kollegen zu schlafen, der gerade Urlaub hat.
Zusätzlich gibt es eine warme Dusche, wir dürfen die Küche benutzen und es gibt WLAN.  Da schlägt das Radreisenden Herz höher.  Einziges Manko. Wir sind immer noch auf 4600 m. Bis auf leichte Kopfschmerzen haben wir aber glücklicherweise keine Beschwerden.  Wir verbringen einen richtig schönen Nachmittag und Abend mit Gustavo und erfahren viel über sein Leben. In der Nacht schlafen wir der Höhe geschuldet schlecht, dafür aber im Warmen und Trockenen.


Ausgeruht fühlen wir uns trotzdem am nächsten Morgen. Nach gemeinsamen Frühstück mit Gustavo geht es weiter am See entlang. Die Wolken hängen tief, aber wir bleiben trocken und sehen erneut Flamingos, diesmal viel näher. Nach einer Weile erreichen wir die Passhöhe von 4670 m ü. NN und somit auch die Grenze zu Bolivien. Im folgenden Ort essen wir eine Suppe zu Mittag, kaufen eine Simkarte und tauschen noch etwas Geld. Dann sortieren wir unsere Taschen, denn für den nächsten Morgen ist ausnahmsweise gutes Wetter vorhergesagt und wir wollen auf einen 6000er. Zwei Taschen lassen wir zurück und fahren los. Schnell verlassen wir den Asphalt und nach einigen Kilometern verschlechtert sich die Straße erheblich. Wir müssen schieben und gleichzeitig fängt es an zu regnen. Mehrmals überlegen wir umzudrehen. Als wir erneut anhalten und nachdenken wie wir weiter machen fängt es an zu hageln. Das deuten wir als Zeichen und brechen unser Vorhaben ab. Gute 15 km geht es wieder zurück in den Ort und das bei strömenden Regen. Ich bin so glücklich, als wir wieder am Restaurant ankommen. Dort essen wir direkt noch jeder eine heiße Suppe und während ich noch vor mich hinlöffele besichtigt Paul die einzige Unterkunft im Ort. Sie ist nur wenig ansprechend, weshalb wir beschließen noch 23 km nach Sajama weiter zu fahren. Zum Glück regnet es kaum noch und wir schaffen die Strecke gut. Im Bergsteigerdorf beziehen wir ein Zimmer im Hostel Oasis und genießen die warme Dusche und das Bett. Draußen regnet es mittlerweile wieder in Strömen und wir sind sehr glücklich uns gegen eine Nacht im Zelt auf über 5000 m ü. NN entschieden zu haben.

Am nächsten Tag entspannen wir einfach nur, machen Pläne für den weiteren Verlauf der Reise und einen kleinen Ortsrundgang bei welchem wir den Sajama (höchster Berg Boliviens mit 6542 m) sehen. Wir bleiben noch einen weiteren Tag und besteigen den Hausberg Wisalla, der direkt neben dem Ort liegt. Dieser ist „nur“ gut 5000 m hoch und da wir bereits auf circa 4200 m sind relativ einfach zu erreichen. Und doch ist es ja so, dass der Weg dort hoch im großen und ganzen recht anstrengend war. Immerhin sind wir am Meer bei 30 Grad mit Palmen und Kolibris gestartet und haben es von dort bis auf den schneebedeckten Gipfel mit reiner Muskelkraft geschafft.